Was ist Waldorfpädagogik?

Das Kind in Ehrfurcht empfangen, in Liebe erziehen und in Freiheit entlassen.
Rudolf Steiner

In Ehrfurcht empfangen
Wenn ein Kind geboren wird, bringt es eine eigene, unverwechselbare Individualität mit. Die eigentliche Aufgabe der Erziehung besteht darin, Hilfe zu leisten für die Entwicklung und Entfaltung dieser individuellen Persönlichkeit.

In Liebe erziehen
Der Mensch durchläuft in Kindheit und Jugend unterschiedliche Entwicklungsphasen. Erziehung sollte sich daran orientieren. Das Kind lernt in den ersten sieben Jahren vor allem dadurch, dass es seine Umwelt in allen ihren Erscheinungsformen nachahmt. In den Jahren bis zur Pubertät sucht das Kind Menschen, zu denen es Bindungen und Liebe entwickeln kann, deren berechtigter Autorität es folgen will. Auf dem Wege zur Mündigkeit hat der junge Mensch das Bedürfnis nach Wahrhaftigkeit, Authentizität sowie nach Ideen, über die es nachzudenken lohnt, um schließlich zu einer selbstständigen Urteilsbildung zu gelangen.

In Freiheit entlassen
Die Waldorfpädagogik stellt sich die Aufgabe, junge Menschen zur Lebenstüchtigkeit zu befähigen, so dass sie sich aktiv und zukunftsorientiert für die Gesellschaft einsetzen wollen und können – im Selbstvertrauen und im Vertrauen in die Welt. Dies bedarf eines offenen Interesses für z.B. soziale, ökologische, ökonomische und technische Fragen, sowie der Fähigkeit, ein selbständiges und verantwortungsbewusstes Urteilen und Handeln zu erlernen.

Die erste Waldorfschule wurde 1919 von Rudolf Steiner (1861-1925) in Stuttgart gegründet. Rudolf Steiner war Naturwissenschaftler und promovierter Philosoph, der während und nach dem Ersten Weltkrieg auf vielen Gebieten eine Erneuerung der Gesellschaft und der Kultur anregte: unter anderem die soziale Dreigliederung, die biologisch-dynamische Landwirtschaft, die anthroposophische Medizin und Pharmazie und vieles andere mehr.

Seine Anregungen für moderne Erziehungsmethoden in den Waldorfschulen wirkte besonders erfolgreich weiter. Mit dem Ursprungsgedanken, Kindern von Arbeitern und Angestellten die gleiche Bildung zukommen zu lassen wie den Kindern begüterter Eltern, wurde zum ersten Mal das Prinzip sozialer Gerechtigkeit im Bildungswesen verwirklicht. Als erste Gesamtschule haben die Waldorfschulen das Prinzip der Auslese durch eine Pädagogik der Förderung ersetzt.

In einem einheitlichen Bildungsgang, der im Kindergarten beginnt und mit dem 12. oder 13. Schuljahr abschließt, werden Schüler unterschiedlichster Begabungsrichtungen nach dem Lehrplan der Waldorfschulen unterrichtet.

Das pädagogische Konzept umfasst neben der Schule auch die frühkindliche Erziehung (0 bis 3 Jahre) in Spiel- und Krippengruppen, im Kindergarten sowie die Betreuung nach dem Unterricht (verlässliche Grundschule, Hort, flexible Nachmittagsbetreuung).

Alle Schüler durchlaufen ohne Sitzenbleiben 12 bzw. 13 Schuljahre. Das Erlernen und Üben sozialer Kompetenzen in einer möglichst stabilen Klassengemeinschaft wird dabei als ebenso wesentlich erachtet wie die Entwicklung von Verantwortungsbewusstsein für die Mitmenschen und die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit.

Ab dem 1. Schuljahr werden die mehr sachbezogenen Unterrichtsgebiete um vielseitiges künstlerisches und praktisches Lernen ergänzt. Dadurch werden wichtige kreative und motorische Fähigkeiten ebenso gefördert wie eine differenzierte Ausbildung des Willens.

Ein entscheidendes Prinzip des Waldorflehrplans liegt in der Abstimmung der Unterrichtsinhalte und Unterrichtsformen auf die Prozesse der individuellen Entwicklung in Kindheit und Jugend.

In den ersten Schuljahren, in denen die eigene Urteilskraft der Schüler heranreift, ist „bildhafter“ Unterricht ein wesentliches Unterrichtsprinzip. Fakten werden so behandelt, dass die Schüler zusammen mit dem Anschaulichen auch die Gesetzmäßigkeiten der Dinge im Sinne echter Bilder verstehen, erfahren und erleben lernen.

Dem Streben nach eigener Lebensgestaltung und Urteilsbildung ab dem 14. Lebensjahr entspricht der wissenschaftliche Charakter vieler Unterrichtsfächer vom 9. bis 12. Schuljahr. Die Waldorfschulen sehen hier die pädagogische Aufgabe nicht darin, eine voruniversitäre Ausbildung zu betreiben, sondern den Unterricht inhaltlich so zu vertiefen, dass er sich mit den Lebensproblemen der Jugendlichen verbinden kann und Antworten auf seine Lebensfragen gibt.

Ziel der Waldorfpädagogik ist die Entwicklung zu einem freien Menschen, der seinen individuellen Platz in der Welt findet, an dem er wirken kann. Bildung ist daher in der Waldorfpädagogik primär kein Selbstzweck, sondern Erziehung zur Freiheit. Denn nur in Freiheit kann der Mensch seine Fähigkeiten voll entfalten und der Gesellschaft neue Impulse geben, die sie zur Fortentwicklung braucht. Bildung ist dabei das Mittel zur Entfaltung und Ausbildung des Menschen in all seinen Fähigkeiten.

Die Waldorfschule war und ist ein pädagogischer Vorreiter. Sie ist eine Gesamtschule, die mit der Pädagogik der Förderung das Prinzip der Auslese ersetzt. Was heute als innovativ gilt und z.T. auch in anderen Schulformen Einzug hält, findet in Waldorfschulen seit 100 Jahren statt: zwei Fremdsprachen ab der ersten Klasse, Epochenunterricht, sowohl künstlerisch-praktischer als auch naturwissenschaftlicher und musischer Unterricht, feste Klassengemeinschaften, Projekte und Praktika als integraler Bestandteil des Lehrplans.

Durch das breite Unterrichtsangebot und die Art des Arbeitens werden bei den Schülern außerdem wichtige Schlüsselqualifikationen gefördert:

  • Kreativität und Finden von Lösungswegen
  • Weltoffenheit und Lernbereitschaft
  • Verantwortungsbewusstsein
  • Kommunikationsfähigkeit
  • Empathie und Toleranz
  • Teamfähigkeit
  • Selbstständigkeit und gesundes Selbstbewusstsein