Bericht eines ehemaligen Schülers

Meine Name ist Julian Ziegler. Im Jahr 2012 habe ich an der Freien Waldorfschule auf der Alb in Engstingen mein Abitur abgelegt und nun im Sommer 2020 mein Zweites Staatsexamen zur Befähigung zum Richteramt.

Ob ich dies auch ohne den Besuch dieser Schule geschafft hätte, erscheint mir zumindest fraglich. Als Schüler, der immer mit der Rechtschreibung gerungen hat, und dabei meist unterlag, und überdies aus einer Familie stammt, in der das Abitur nicht als obligatorisch gilt, verdanke ich vor allem der Förderung durch meine Lehrer*innen, dass ich zur Universität gegangen bin. Diese haben mich zum Abitur ermutigt und immer meine Stärken gesehen und gefördert.

Um dies zu illustrieren, erinnere ich mich daran, dass meine Mutter mich zum Beginn der 9. Klasse von der zweiten Fremdsprache, die ich zum Abitur brauchte, abmeldete. Wohl weil ich zu dieser Zeit mit Russisch nicht besonderes froh war. Dies wurde von meinen Lehrer*innen jedoch nicht einfach hingenommen, sie hakten bei meinen Eltern nach und überzeugten sie, dass ich weiter am Russischunterricht teilnehmen sollte um mir die Möglichkeit des Abiturs offen zu halten.

Mein Tutor, Herr Eichorn sagte mir in der 12. Klasse, als sich die Frage stellte, ob ich nach der Fachhochschulreife noch Abitur machen sollte oder nicht, ich gehöre an die Uni. Obgleich ich auch zur dieser Zeit noch keinen Text ohne Schreibfehler aufs Papier bekam. Was mir noch immer schwer fällt.

Meine Lehrer*innen machten es sich nie leicht und ließen sich nicht von den vordergründigen
Fehlern in der Schreibweise blenden. Sie sahen stets auch meine Begabungen, wie im abstrakten und raschen Denken und förderten diese.

Die Erinnerungen an meine Schulzeit sind von einer starken Schul- und Klassengemeinschaft
geprägt. In dieser konnte ich meine Fähigkeiten erproben und weiterentwickeln. Die Schule war immer offen für Ideen und Projekte und unterstütze meine Mitschüler*innen und mich darin. Zum Beispiel konnten zwei meiner Klassenkameraden und ich in der 10. Klasse eine Fortbildung für das Kollegium anbieten, in welcher wir sie auf das Medium Videospiele hinführten und in deren Rahmen sie neben einem Vortrag auch eigene Erfahrungen damit machen mussten.

Durch den Unterricht habe ich eine Allgemeinbildung erhalten, die mich an der Uni oft herausstechen lies. Die Fähigkeit eine Hose zu flicken und ein Möbelstück zu leimen, erwiesen sich als sehr nützlich. Das Vertrautsein mit Kunst, Musik und der Bewegung sind noch immer eine Quelle der Freude für mich. Eine Oper zu hören und einen Tanz zu sehen macht einfach mehr Spaß, wenn man weiß wie schwer diese zu singen oder zu bewegen sind. Was man erst richtig weiß, wenn man es selbst ernsthaft versucht hat.

Aber auch die kritische Denkweise, die mich das Gelernte stets hinterfragen lies, erwiesen sich als gute Voraussetzungen zum Studium. Ich habe Lernen stets als Begreifen und nicht als Auswendiglernen verstanden. Und dies machte mich vor allem in einen Fach wie Jura, wo die Menge des Stoffs ein Auswendiglernen aussichtslos macht, zu einem guten Studenten.

Nun will ich als Richter arbeiten. Die Monatsfeiern und Klassenspiele haben mich im freien
Sprechen vor einem mehr als kritischen Publikum gestählt. Wer im Klassenspiel oder Eurythmieabschluss vor einer 7. Klasse, die sich dies nicht einmal freiwillig ansehen will, im Kleid auf der Bühne stehen kann, kann auch im Talar auftreten ohne nervös zu werden.

Meine Schulzeit war wunderbar und legte mir eine Basis für mein Leben, auf der ich das Gefühl haben konnte, alles schaffen zu können.

Julian Ziegler
(Abiturjahrgang 2012)